Mittagessen mit Stromausfall
Erik hatte den rostigen Dieselgenerator im Keller mit dem bisschen Sprit befüllt, das er heute ergattern konnte. Er hatte stundenlang an der Vergabestelle angestanden, Gefallen eingefordert und mäßig wertvolle Fundstücke seiner letzten Streifzüge durch die zerbombten Ruinen eingetauscht, damit wir wenigstens für die nächsten paar Mahlzeiten nicht im Dunkeln hocken müssen. Das war auch dringend nötig, da sich schon seit Monaten kein Sonnenstrahl mehr auf dieses verfluchte Fleckchen Erde verirrt hatte. Zu dicht war die Wolke aus aufgewirbeltem Staub, Schutt, Erde und kleingeriebenem Fels, die große Teile des Kontinents in dämmriges Zwielicht hüllte. Kerzen waren fast noch schwerer zu bekommen als Diesel oder Benzin, daher war die ursprünglich als Notstromaggregat konzipierte Maschine unsere einzige Hoffnung auf ein wenig Licht und Wärme.Aus unserem Dachgarten, den ich mit einigen anderen Hausbewohnern täglich bewirtschafte und pflege, habe ich ein halbes Pfund Kartoffeln, eine Handvoll mickriger Tomaten und fast vertrockneten Lauch geerntet und auch wenn es nach wenig klingt, war es für uns ein kleines Festmahl. Die Krönung aber war ein halber Hahn, den mir die alte Dame aus der Wohnung über uns geschenkt hatte. Sie meinte, sie würde ihn sowieso nicht essen und es wäre doch schade, wenn er verkommen würde. Eriks leuchtende Augen, als ich ihm den Vogel präsentierte, ließen mich meine Sorgen für einen Moment vergessen.Wir hatten uns gerade vor unsere gut gefüllten Blechteller unter die stetig flackernde und milchige Glühbirne gesetzt, als plötzlich ein lautes Rumpeln aus dem Keller kam, das von den halb eingestürzten Betonwänden widerhallte und über mehrere Blocks hinweg zu vernehmen sein musste. Im selben Moment erlosch das Licht und wieder einmal saßen wir in fast völliger Finsternis.Erik sprang auf, griff eine Taschenlampe und stürzte umgehend aus der Wohnung in Richtung Treppenhaus und ich hatte Mühe ihm zu folgen, doch als ich ihn wutentbrannt durch das ganze Haus brüllen hörte, war mir recht schnell bewusst, was passiert war.Schon häufig hatten andere Stadtbewohner versucht, aus purem Neid unseren Generator zu stehlen oder zu sabotieren und nun deutete alles darauf hin, dass sie letztendlich Erfolghatten.Im Keller angekommen bemerkte ich schnell den dünnen Öl- und Benzinfilm, der vom Generatorraum kommend den Flur entlangkroch und selbst im schwachen Lichtschein in allen Farben schillerte. Als ich Erik letztlich eingeholt hatte, bot sich mir jedoch ein anderer Anblick als erwartet. Der Generator war tatsächlich ziemlich beschädigt, denn eine der Zuflussleitungen war gerissen und das brachte die Maschine wahrscheinlich sehr abrupt ins Stocken. Doch in einer Ecke des Raumes hockte ein vor Angst zitterndes und beinahe katatonisch wirkendes Geschöpf, das ich erst auf den zweiten Blick als Patty erkannte. DieHündin war das Maskottchen unseres Viertels, jeder liebte sie und überließ ihr stets ein paar Brocken Fleisch oder trockenes Brot, wenn sie auf einen Besuch vorbeikam. Der Grund für ihre panische Angst war wohl eher Eriks Zorn, weil sie – ohne böse Absicht – so viel Schaden angerichtet hat, derweil er lautstark versuchte, das Problem so schnell es ging in den Griff zu bekommen, bevor der Generator noch mehr Sprit verlieren würde. Denn ich war mir mehr als sicher, dass er nicht einmal in größter Rage Hand oder Fuß an das arme Tier gelegt hätte. Ich führte Patty aus dem Keller hinaus und das Treppenhaus hinauf zu unserer Wohnung, während einige Nachbarn an mir vorbeieilten, um bei der Reparatur zu helfen. Mit einer Hähnchenbrust, die wir uns teilten, harrten wir auf dem abgenutzen Ledersofa aus, bis nach knapp 20 Minuten wieder Leben in der Glühbirne entflammte.
Sebastian Bümann
Ich wurde kurz vor der Wende in Magdeburg, einer kleinen, aber beschaulichen und historisch sehr bedeutsamen Stadt an der Elbe geboren.
Meine ersten eigenen Texte habe ich im Rahmen von Pen-and-Paper-Rollenspielen wie „Das Schwarze Auge“ oder „Dungeons and Dragons“ verfasst, nur für mich und enge Freunde.
Dadurch wurde mein Interesse für das kreative Schreiben geweckt und ich fing an, auch über die Rollenspiele hinaus Kurzgeschichten verschiedenster Genres zu schreiben.
Ich bin seit 2018 Teil des Literathiem und bemühe mich stets, die kulturelle Landschaft meiner Heimatstadt zu bereichern.